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Fundstück des Tages # 237 [Ultras, Mehrdeutigkeit, Selbstreflektion?]

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In loser Folge dokumentiert Ostfussball.com in dieser Rubrik mehr oder weniger (ost)fußballtangierende Kostbarkeiten der deutschen Schriftsprache – unkommentiert, da die Fundstücke zumeist schon einiges postulieren und zuweilen gleichfalls einfach ihrerseits selbst vor sich hin sprechen und dabei durchaus aktuelle Geschichten über dieses und jenes erzählen …

(…) Das Folgende trifft sicher nicht auf Alle zu, aber auf Viele (gerade die jüngere Fraktion) passt es dann doch ziemlich gut. “Wir lehnen uns gegen Regeln auf”, aber wir stellen Regeln auf, an die sich auch andere halten sollen. “Wir sind gegen Kommerz”, kaufen aber bevorzugt Markenklamotten. “Wir wollen eine bunte Kurve”, tragen aber Uniform und das bevorzugt in schwarz. “Wir kämpfen gegen die Elite”, halten uns aber gleichzeitig dafür. “Wir lieben den Verein über alles”, machen aber Choreos für unsere Gruppe oder gegen andere Gruppen.

Wir singen “Fußballfans sind keine Verbrecher”, begehen aber im Namen der Gruppe Verbrechen. “Die Presse lügt”, außer sie vertritt unseren Standpunkt, dann übernehmen wir das unreflektiert. “Wir wollen eine kreative Kurve, wo sich jeder einbringt”, stellen aber Vorsänger auf den Zaun/das Podest und geben Gesänge vor. Noch schöner ist, dass nach wenigen Wochen neuer Lieder, diese auch in anderen “kreativen Kurven” zu hören sind. Alleinstellung durch Optik und Gesänge? Fehlanzeige! Dazu dann Kritik an “Kutten” oder “Familienfanclubs”. Komisch. Diese gehen teilweise seit zig Jahren für ihren Verein auf Achse und Treue ist doch so wichtig. Wir kritisieren Leute, die unreflektiert über uns reden, vergessen aber häufig jegliche Empathie, wenn es um andere Fans geht (Dauergesang vs. Spielbezogen).

Auch die Gründe dafür sind vielschichtig.

Früher wurden alteingesessene Fans ihres Vereins auf einmal angefixt von Bildern aus Südeuropa. Man wollte diese tollen, rebellischen Bilder, man wollte diesen tollen Gesänge, man wollte auch Ultra sein. Erst wurden nur die “Symptome” importiert. Es wurde bunt gezündet und mit Liedern und Gruppennamen experimentiert.

Danach kam dann sozusagen der “ideologische Unterbau” dazu. Dann kam der Erfolg. Dieser bringt erstmal Masse (sehr erwünscht, denn Masse wirkt halt). Allerdings ist Masse nicht gleich Klasse. Dies wissen auch die oberen (Quasi die interne Elite der selbsternannten Elite) Zehntausend der Ultras. Aber Masse bringt halt auch nötiges Geld. Und das bisschen Klasse im Hintergrund reicht ja.

Ironischerweise bildet sich hier also ein Abbild der Gesellschaft mit verschiedenen “Ständen”, wobei die unterste Schicht zahlt, aber ihrem Ego mitteilen kann, dazuzugehören. (Und diese Strukturen gibt es auf mehreren Ebenen: Gesellschaftsstruktur allgemein, abzulehnen, da sie unterdrückt und nur die Elite es gut hat. Elitenstrukturen im Stadion, gefühlt sind die Ultras die Elite und lassen das oft andere spüren. Andererseits ist die VIP-Elite abzulehnen. Interne Eliten, diese sind ganz natürlich und gut, da man sich ja bewähren muss, um dort zuzugehören (soso).

Ebenso ironisch ist auch die zunehmende Professionalisierung und damit einhergehend Kommerzialisierung der Gruppen. So bilden sich Unterarten. Die Puristen, die die Ideologie in den Vordergrund stellen. Diejenigen, die die Symptome bevorzugen und natürlich die Mitläufer, die jede interessante Subkultur anzieht.

Ultra stellt sich rebellisch dar. Man kann dazugehören. Man kann sogar kriminelles Tun und wird gedeckt. Man kann seine Aggressionen loswerden. Durch passende Medienberichte wird das Interesse derjenigen gesteigert, die auf Gewalt und Remmidemmi aus sind. Die Medien erschaffen somit ihr eigenes Feindbild in Form einer selbsterfüllenden Prophezeiung.

Und die Ultras? Wissen oft nicht, was sie wollen oder was sie nicht wollen. Und wenn sie es wissen oder glauben zu wissen, laufen sie oft in die oben genannten Doppeldeutigkeiten hinein. Ultra ist also dabei, sich zu verselbständigen. Ob man das gut oder schlecht findet, sollte man sich selbst durch den Kopf gehen lassen. Spannend wird die Beobachtung der nächsten Jahre sein, um zu schauen, wo warum welcher Weg genommen wird. (…)

Quelle  im Original – | ultras.ws |  Stammtisch Deutschland | 20. Februar 2012 |


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